Eugénie Grandet, Stadttheater Lübeck, Montag, den 03.11.2020


Heute sah ich im Stadttheater eine Aufführung der ,,Eugénie Grandet“. Es war vorzüglich – der alte Vater Grandet schlurfte mit der ganzen Pedanterie der Habgier über seine Ländereien und stotterte, dass der Schaum von seinen Lippen in wunderlichen Capriolen zu Boden sank. Wie kurios, dass mir beim Schauen des intrigierenden Kaltbluts und Geizlings das Antlitz meines Bruders in seinem Kontor deutlich - nein, wahrhaft überdeutlich - in die Augen trat! Die Eugénie spielte notabene eine ganz junge Dame, und, ich weiß nicht, was soll es bedeuten - auch hier erdachte sich mein Geist die drolligsten Gespinste. Es war mir plötzlich, als sei sie die Meyer-de la Grange, der ich als Junge Blumen geschenkt hatte… ,,Fräulein, wie schön haben Sie gespielt!“. Ja, niemals mehr werde ich Wilhelm Tell so gut gespielt sehen, wie damals bei der la Grange. Die Eugénie hatte ein sanftes Gesicht und nähte den lieben langen Tag. Bald war mir die Figur doch ein wenig verleidet. Charles in Indien, das ist ein Leben, das hat Esprit, das hat Fremde! In einer Provenienz zu bleiben, nun, das hingegen ist so trüb und unsäglich reizlos, ich möchte sterben bloß bei dem Gedanken. Was man nicht alles misst! Man nehme meine Reise nach Valparaiso: wie könnte ich ohne mein Comptoir und diesen Kerl, Johnny Thunderstorm, gelebt haben - Gott verdamm' mich, niemals habe ich ihn arbeiten sehen! Es war also ein ganz schöner Besuch im Theater und wenn nicht der Schmerz in meiner linken Seite gewesen wäre, hätte ich es ein Plaisir en tout genannt. Man mag sich nicht ausmalen, zu welcher Lästigkeit einem das Sitzen in den roten Samtpolstern gerät, wenn es so recht und ordentlich durch die Nerven zuckt. Und mit wieviel Unbehagen nahm mein Sitznachbar meine gelegentlichen Bekundungen der Marter entgegen! Ich sagte ihm etwa folgendes: ,,Schmerzen, werter Herr! Die habe ich in den Nerven, und dann das Herz, ich will es Ihnen einmal ganz genau beschreiben…“. Jedoch, er wurde ganz spitz in seinem Betragen: er ,,wolle doch meinen“, es sei dies eine ,,honette Aufführung“ und ,,ungebührlich jeglicher Zwischenrede“ - welch Dürrschnabel und Popanz. Schließlich rief er sogar:  ,,Apage! Scher dich zum Deubel.“ Es war eine herrliche Aufführung, wahrhaftig!


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